Magische Weihnachtsmusik
Dieses Jahr hatte ich die Ehre und das Vergnügen, an einem gemeinsamen Projekt mit vielen anderen tollen Autorinnen und Autoren teilzunehmen. Gemeinsam haben wir einen Adventskalender mit 24 Geschichten gestaltet.
Jeden Tag wird der Elf Noel auf ein neues Abenteuer geschickt. Er befindet sich nämlich in der Ausbildung zum Weihnachtselfen und muss dazu verschiedene Prüfungen bestehen. In einem alten Appartementhaus trifft er auf Familien, die oft gar keinen Sinn für das Weihnachtsfest haben. Wird Noel es schaffen, bis zum Heiligen Abend einen Funken Weihnachtsfreude in jeder Wohnung zu verteilen?
Meine Kurzgeschichte mit Elf Noel heißt "Magische Weihnachtsmusik" und findet hinter dem 21. Türchen statt. Ihr könnt alle wunderbaren Texte der anderen Autoren auf der Website von P. J. Ried nachlesen.
Ich wünsche euch viel Vergnügen beim Lesen und zauberhafte Weihnachten!
Magische Weihnachtsmusik
Hier ist etwas anders, merkte ich, als ich vor der heutigen Appartementtüre stand. Aufgeregt klingelten meine Glöckchen an den Schuhen. Ich kniff die Augen zusammen, um mich besser konzentrieren zu können. Was war es nur, das hier eine ganz eigenartige Atmosphäre schaffte?
Ich konnte überhaupt nichts ausmachen. Das war es auch. Nichts! Hinter der alten Holztüre war kein einziger Laut zu hören. Keine wilden Vorweihnachts-Diskussionen, kein raschelndes Geschenkpapier beim Einpacken, ja nicht einmal die Krümel von Keksen, wenn sie zertreten werden.
Mit einem Mal wurden meine Glöckchen still. Was würde mich wohl erwarten, wenn ich diese Wohnung betrat? Nichts? Oder vielleicht Gefahr?
Ich schüttelte den Kopf. Davon durfte ich mich jetzt nicht verrückt machen lassen! Bald schon würde ich meine Prüfungen beendet haben. Eine Lebkuchenlänge vor dem Ziel wollte ich wirklich nicht scheitern.
Mutig straffte ich die Schultern, richtete meine Elfenmütze und trat durch die Tür.
In der Wohnung war es wohlig warm. Mir fiel das leise Surren der Heizung auf, welches ich in den letzten Tagen gar nicht bemerkt hatte. Andächtig schlurfte ich über den Teppichboden.
Aber, halt! Da war noch ein Geräusch. Es kam aus einem Nebenzimmer und hörte sich an wie ein schabender Luftzug. Oder mehr wie ein tiefes Kratzen?
Nebenan war ein kleines Wohnzimmer und auf einem der gepolsterten Sessel in der Ecke des Raumes saß ein alter Mann. Seine graue Haut und die dünnen Haare ließen ihn zerbrechlich erscheinen. Regungslos hockte er auf seinem Platz und starrte in die Luft. Das einzige Lebzeichen waren die Atemzüge, die seine Brust hoben und senkten.
Mein kleines Herz ballte sich zusammen. Dieser Mann war wie eine leere Hülle in seinem Wohnzimmer, das einst einmal mit Leben gefüllt sein musste. Bilder an der Wand deuteten auf eine fröhlichere Vergangenheit hin. Wie konnte ich es schaffen, hier wieder ein wenig Weihnachtsmagie zu verbreiten?
Das Geräusch der quietschenden Wohnungstüre drang zu meinen Ohren. Kurz darauf ertönten Schritte und ein junges Mädchen betrat den Raum. Der alte Mann hob erst den Kopf, als sie schon direkt vor ihm stand.
In dieser grauen Wohnung bot sie wirklich ein lustiges Bild. Ihr farbenfroher Rock bauschte sich über der weihnachtlichen Strumpfhose und sie trug einen dicken Pullover mit Schneeflockenmotiven. Unter ihrer kupferfarbenen Haarpracht lugten zwei Kopfhörer hervor, aus denen Weihnachtsmusik schallte.
„Hallo Großvater!“ Mit einem fröhlichen Seufzen ließ sie sich neben dem alten Mann auf dem Sofa nieder. Erst jetzt begann sie, ihre Schuhe auszuziehen. Diese hatten bereits eine dünne Spur aus Wassertropfen durch den ganzen Raum gezogen.
„Du glaubst nicht, was ich heute erlebt habe.“ Dieses Mädchen sprudelte vor Energie und begann zu erzählen, ohne seinen Großvater zu Wort kommen zu lassen. Seine Miene war immer noch steinern und mit dem Blick fixierte er seine Enkelin.
„Was hörst du dir nur für einen Schrott an, mit diesen billigen Plastikschnüren?“, unterbrach er sie plötzlich mit harscher Stimme. Erschrocken hielt das Mädchen in ihrer Bewegung inne. Regungslos verharrten sie mit ihren Händen bei den Schuhbändern. Ich war genauso überrascht, wie sie und meine Glöckchen klingelten aufgeregt.
Der alte Mann fuhr bellend fort: „Du bist ja fast so schlimm wie der Nachbar im Appartement gegenüber! Musiker nennt er sich. Und spielt doch nur den Müll aus dem Radio nach. Es ist immer das gleiche! Singen heißt noch lange nicht, Musik zu machen. Das sollten diese Pop-Affen endlich begreifen.“
Nach dem Ausbruch wirkte die Stille noch schärfer als zuvor. Einzig der Nachhall der bösen Worte war in der Luft zu spüren. Ich blickte zu dem Mädchen und sah in ihre blauen aufgerissenen Augen.
„Musik ist doch etwas Schönes!“, flüsterte sie und bereute es sogleich durch das finstere Schnauben ihres Großvaters. Er hatte die Stirn in zornige Falten gelegt, sodass seine Adern blau hervortraten.
„Ich glaube es ist besser, wenn ich wieder gehe.“ Die Hände immer noch bei den Schubändern, zog das Mädchen diese jetzt zusammen. Ihre Finger zitterten und ihr Blick flackerte über die tapezierten Wände, als sie aus der Wohnung eilte, ohne sich von ihrem Großvater zu verabschieden.
Der alte Mann lehnte sich in seinem Sessel zurück und das Wohnzimmer wirkte, als wäre die unbehagliche Ruhe nie gestört worden. Wieder legte sich die graue Maske über den Mann. Nur die pochende Ader auf seiner Stirn verriet noch etwas von seinem vorigen Wutausbruch.
Unentschlossen stand ich im Wohnzimmer und wippte mit meinen Füßen. So wurde ich nicht schlauer. Es musste doch etwas geben, das ich tun konnte.
Nachdenklich trottete ich durch den Raum und begutachtete Regal für Regal. Meine Gedanken waren immer noch bei dem Mädchen. Gekleidet wie eine Weihnachtsfee und mit der Musik in den Ohren, war sie das völlige Gegenteil ihres Großvaters. Obwohl es doch so schön wäre, wenn…
Meine Augen streiften eine Kommode und ich musste zweimal hinsehen, ehe ich begriff. Das unter dem Fenster war gar kein Möbelstück. Das große rechteckige Objekt war mit einer Filzdecke verhüllt worden und so etwas hätte ich nie hier vermutet.
Mit den Fingerspitzen hob ich das Ende der Decke an und lugte vorsichtig hinein. Tatsächlich befand sich in dieser Wohnung ein Klavier! Das Musikinstrument schien schon älter zu sein. Auf dem Notenpult befanden sich noch die Blätter des letzten Stückes. Es war ein Weihnachtslied.
Ich hörte, wie sich die Wohnungstüre wieder öffnete. Schnell wirbelte ich herum. Der Mann saß immer noch unbewegt in seinem Sessel. Seine Enkelin war zurückgekommen und zeichnete mit den Schuhspitzen verlegene Kreise in den Teppich.
„Es tut mir leid Großvater, dass ich vorhin so aufbrausend war. Aber ich möchte doch gerne, dass du mich verstehst.“ Sie trat einen Schritt näher und blickte ihn eindringlich an.
„Ich liebe Weihnachten. Mir ist klar, für dich wird es nie wieder so sein wie früher. Aber wir könnten trotzdem mit Liebe im Herzen feiern und uns gegenseitig Gutes tun.“
Ihre Worte schienen im Inneren des alten Mannes Emotionen zu erzeugen. In seinen Augen spiegelten sich Verwunderung, Trauer und auch etwas Hoffnung.
Plötzlich kam mir eine Idee.
„Du darfst den Menschen nicht im Weg stehen, wenn sie Weihnachten feiern wollen und du nicht. Auch dein Nachbar liebt diese Zeit und die Musik genau so sehr wie ich. Lass ihn seine Freude ausleben und nimm vielleicht auch ein wenig daran teil.“
Meine Konzentration war nun auf das Klavier gerichtet, das ich vorhin entdeckt habe. Ich war mir nicht ganz sicher, aber einen Versuch wollte ich trotzdem wagen. Mit meinen Händen schickte ich einen Strahl Wärme aus der Richtung des Klaviers hinein in das Herzen des Mannes. Aufgeregt wartete ich mit klingenden Glöckchen seine Reaktion ab.
„Weißt du Anna“, begann er mit einer tiefen Stimme, die nun warm und vorsichtig klang „ich liebte dieses Fest auch einmal. Doch die Zeit ließ so manches in mir verkümmern.“ Sein Blick richtete sich nun aufs Klavier und ich beobachtete, wie er seine Finger ineinander verhakte und dehnte.
„Ich kann dir ja zeigen, welche Art von Musik mir damals immer Freude gemacht hat.“ Die Augen von Anna wurden weit, als sie ihren Großvater beobachtete, wie er sich vom Sessel erhob und zum Klavier schritt. Mit einer entschlossenen Handbewegung zog er die Decke beiseite. Staub wurde aufgewirbelt und glitzerte im Licht. Sanft strichen die Hände des alten Mannes über die Tasten. Ungläubig trat Anna noch ein Stück näher.
Ihr Großvater setzte sich an das Klavier und seine Finger begannen die ersten Noten zu spielen. Aus den einzelnen Tönen formte sich eine wunderschöne Melodie, die mit jedem Takt inniger und sicherer wurde. Bald schon war der ganze Raum von Musik und Wärme erfüllt. Die Stille und Kälte der vergangenen Jahre waren endlich verdrängt.
Fasziniert beobachtete Anna, wie seine Finger über das Klavier schwebten. Sie holte tief Luft und begann, zu der Melodie zu singen.
Es war das Lied Schneeflöckchen, Weißröckchen, das durch die Wohnung schallte. Ein altes Kinderlied, das schon über Generationen hinweg weitergegeben wurde und Jung und Alt näherbrachte.
Zufrieden beobachtete ich die zwei. Durch die Musik war eine wunderschöne Verbindung zwischen ihnen entstanden. Meine Aufgabe hatte ich erledigt, obwohl sie das meiste alleine geschafft hatten.
Im Takt der Musik hopste ich zur Wohnungstüre und ließ mit einem heimlichen Fingerschnipsen noch ein Teller mit Keksen auf dem Küchentisch erscheinen.
Kommentar schreiben